Lernaufgabe

Spätestens in dem Moment, indem Eltern zum ersten Mal ihr neugeborenes Baby im Arm halten, beginnt in ihren Köpfen der Film von der Zukunft dieses winzig kleinen Babys zu laufen. Sie träumen davon, was sie alles mit diesem Winzling unternehmen werden und was sie ihm beibringen wollen. Jahre später haben sie dann hoffentlich begriffen, dass ihr Anteil am Werden des Winzlings nicht darin bestand ihm Anweisungen zu geben, sondern darin bestand, ihn Erfahrungen machen zu lassen. Der Winzling weiß das bereits jetzt und verhilft seinen Eltern zu einer Flut von Erfahrungen, aus denen sie eine Menge lernen konnten.

So haben sie z.B. verzichten gelernt: zunächst auf Schlaf, auf Geld, auf selbst bestimmte Freizeit und später dann auch auf die oftmals erhofften positiven Rückmeldungen Verblüffen heranwachsende Jugendliche doch immer wieder gerne durch ein Verhalten, das signalisiert: es ist selbstverständlich, dass der Kühlschrank gefüllt ist, dass das Auto betankt ist und die Wäsche gewaschen im Schrank liegt. Mit den negativen Rückmeldungen klappt es meistens erstaunlich gut, vielleicht liegt das daran, dass auch hier viel durch Nachahmen gelernt wird.

Eltern lernen Geduld zu haben, geduldig zu warten, wenn die ersten Schritte gemacht werden, wenn auf Spaziergängen jede Schnecke untersucht werden muss und an jeder Blume gerochen wird. Geduldig abzuwarten bis diverse erfolglose Versuche unternommen worden sind, die richtige Sportarten zu finden, das ultimative Musikinstrument oder noch anstrengender der passende Freundeskreis. Der Weg dorthin ist allzu oft gepflastert mit Tränen, Wutausbrüchen und zeitweise ungenießbaren Kindern. Und die wahren Qualitäten der jeweils aktuellen Favoriten erschließen sich Eltern trotz eifrigen Bemühens nur mühevoll. Erwachsene zeigen einfach wenig Enthusiasmus für die Übungsstunden eher unbegabter kleiner Geiger und Geigerinnen, ganz zu Schweigen von Kindergartenfreunden, die dem eigenen Kind beibringen, wie man mit bloßen Händen, die Fische aus dem Aquarium fängt.

Eltern lernen warten, auf das Ende der Trainingstunde, die mal wieder länger dauert, auf die eigenen Kinder, weil sich der Schulbus verspätete oder weil es leider wichtige Dinge gab, die das rechtzeitige Eintreffen am heimischen Herd verhinderten. Warten auf das Ergebnis der Arbeit, die darüber entschied, ob wir den Sommer entspannt im Freibad verbringen würde oder die Vorbereitung auf eine Nachprüfung den Familienalltag bestimmen würde.

Ausdauer zu entwickeln gehört ebenfalls zu den Lernaufgaben der Eltern. Ausdauer ist gefragt, wenn es gilt den eigenen Kindern über Lernhürden hinweg zu helfen oder zum 50.Mal auf der Einhaltung bestehender Familienregeln zu beharren.

In Momenten, in denen es von Seiten der Kinder heißt: „Haltet euch da raus“, lernen Eltern ihr Temperament im Zaum zu halten und nicht gleich zur Rettung der lieben Kleinen loszustürmen. Andererseits bringen Kinder Eltern dazu, sich aus Liebe auf Auseinandersetzungen einzulassen, die sie ohne Nachwuchs niemals begonnen hätten. Und sich aus Liebe mit Dingen zu beschäftigen, die sie vorher noch nie wirklich interessiert haben. Eltern wissen, dass es sich bei einem Tyrannus Saurus Rex nicht um einen römischen Kaiser handelt und dass Blink 182 nicht die Position ein Leuchtboje in der Nordsee ist. Und bekennende Fußballignoranten lernen schnell ein aktives von einem passiven Abseits zu unterscheiden.

Das Wichtigste vielleicht, Eltern lernen Vertrauen, Vertrauen in manchmal extrem anmutende Lern- und Arbeitsweisen, die erstaunlicherweise dann doch letztlich zum Erfolg führen. Vertrauen in einen Schutzengel, das ist immer dann gefragt, wenn Kinder sich und Eltern in Situationen bringen, in denen gar nichts anderes übrig bleibt als darauf zu vertrauen, dass dieser Kerls seine Arbeit richtig machen wird.

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